Ich
habe eine Vase. Sie ist wunderschön und für mich sehr wertvoll. Ich
freue mich an ihr, sehe sie an und bin stolz, Besitzer einer so
beeindruckenden Vase zu sein. Ich zeige sie gerne, brüste mich mit
ihr. Hege und pflege sie, in der Art und Weise, wie ich es für
richtig halte. In meinen Augen hat diese Vase einen höheren
Stellenwert, als andere Vasen.
Darum
hat sie einen hervorgehobenen Platz, mitten im Raum, auf einem schön
verzierten Sockel. Da steht sie, erhoben über allem anderen
Raumschmuck, im Mittelpunkt, alle Augen richten sich unweigerlich
darauf. Wie ginge es auch anders, habe ich sie doch so unübersehbar
in den Fokus gestellt.
Und
so freue ich mich an meiner Vase und versuche, ihr gerecht zu werden.
Ich achte darauf, dass kein Schatten auf sie fällt. Fasse sie nur
mit Handschuhen an, damit sie keinen Makel davonträgt, kein
unbeabsichtigter Fingerabdruck von mir ihrer Schönheit Abbruch tut.
Ich
ziehe einen Zaun um den Sockel, damit niemand ihr zu Nahe kommt. Will
ihr Besitzen eigentlich nicht teilen. Ich will ihn Allen zeigen, aber
Anderen keinen wirklichen Zugang zu ihr lassen.
So
ist sie, meine Vase. So erfüllt sie mein Leben, soviel Raum habe ich
ihr gegeben und anderes nicht mehr zur Geltung kommen lassen.
Die
Vase kann nichts dafür, sie ist einfach nur. Ich bin es, die sie
nicht für das genommen hat, zu dem sie geschaffen war: Mit Blumen,
mit Leben mitten im Alltag gefüllt zu werden, um damit eine
unendlich viel größere Freude zu schaffen! Sie auch dem dreckig
werdenden Wasser aussetzen, der Gefahr, ihren Glanz einzubüßen.
Und
dann …
Ohne
es zu wollen, ist es einfach passiert. Ich habe meine Vase von ihrem
Sockel gestossen. Ich dachte doch, ich wüßte, wie ich mit meiner
Vase umgehen müsse. Vielleicht habe ich zu sehr auf sie gesehen, so
dass ich nicht mehr auf meinen Gang achtete, ich stolperte und schlug
dabei um mich.
Meine
Vase - sie fiel einfach … und zerbarst in tausend Stücke.
Erschrocken
stehe ich da und denke, das ist gar nicht passiert. Der Sockel steht
immer noch da, unversehrt. Bestimmt steht meine Vase noch immer da,
ich kann sie nur nicht mehr sehen.
Unauffällig
lege ich eine wunderschöne Decke über den Scherbenhaufen. Es gibt
keinen Scherbenhaufen.
Und
doch, wenn ich auf den Sockel sehe, erkenne ich die Leere. Der
Sockel, den ich aufgestellt habe, er lacht mir höhnisch ins Gesicht.
Er war nie geeignet, eine so schöne Vase zu tragen.
Immer
wieder laufe ich an der Decke vorüber und versuche, es mir nicht
anmerken zu lassen. Doch die Scherben klirren unter der Decke, sie
lassen sich nicht einfach verstecken.
Also
nehme ich die Decke zur Seite und versuche, die Scherben wieder
zusammenzufügen. Mit Sekundenkleber setze ich die Teile zusammen und
unter Tränen will ich dieses Puzzle lösen.
Das
Ergebnis ist vernichtend. Beim genauen Betrachten der Scherben
erkenne ich auch, dass die Vase eine ganz andere Farm und Form
besitzt, als ich sie wahrgenommen habe. Die Farben glänzen nicht
gleich, die Form ist nicht so ebenmäßig, wie ich sie gesehen habe.
Irritiert
erkenne ich, nie wieder kann und wird diese Vase so wunderschön
aussehen, wie vor ihrem Sturz. Ich habe ihre tatsächliche Form und
Farbe wahrgenommen und niemals kann ich auch diese Klebespuren-Narben
ungeschehen machen. Nie wieder werde ich diese Vase als das benutzen
können, was sie eigentlich ist: Eine Vase, die gedacht ist, Blumen
in sich zu tragen.
Mein
Zerrbild einer Vase versuche ich wieder auf den Sockel zu stellen.
Aber es geht nicht mehr, sie hat keinen festen Stand mehr. Also gebe
ich mich geschlagen und werfe den Sockel weg.
Dann
halte ich meine zerstörte Vase in den Armen und versuche, zu
verstehen, wie das geschehen konnte. Hatte ich denn nicht alles
richtig gemacht?
Und
mir wird klar, dass ich ganz und gar nichts richtig gemacht hatte.
Ich habe diese Vase, die eine Bestimmung hatte, völlig
zweckentfremdet. Ich habe sie benutzt, um mich an ihr zu freuen. Ganz
eigennützig habe ich sie meinen Wünschen und Vorstellungen von ihr
unterworfen. Ja, ich habe ein Bild von einer Vase entworfen und diese
Vase als Abbild auf den Sockel gestellt.
Die
Vase selbst war in ihrer Art wunderschön, so wie sie war. Ein
Geschenk, mit dem ich nicht umgehen konnte.
Jetzt
frage ich mich, ob es irgend eine Möglichkeit gibt, meine Vase
wiederherzustellen?
Und
mir wird unter Tränen klar, dass dies nicht geht...
Ganz
sanft klopft mir eine Hand auf die Schulter und schluchzend sehe ich
auf. Vor mir steht der Glasbläser, und streckt mir seine Hände
entgegen: Gib mir Deine Scherben, Kind! Es gibt keine andere
Möglichkeit.
Also
gebe ich meine Vase aus der Hand, lege sie in seine Hände und stelle
mir vor, wie er sie einfach so wiederherstellt.
Erstaunt
sehe ich, wie er die Scherben nimmt, sie in eine Schale legt und sie
in seinem Feuerofen zum Schmelzen bringt. Nein, will ich schreien,
nicht so!
Heiß
glüht es und ich spüre die Hitze und erlebe den Schmerz des
Loslassens von etwas, was ich so liebgewonnen hatte.
Ich
will meine Vase aus dem Feuerofen holen, will nicht, dass sie sich
ganz und gar auflöst. Doch ich sehe mit an, wie sie vergeht, sanft
hält mich der Glasbläser in seinen Armen.
Dann
holt er meine geschmolzene Vase aus dem Ofen und gestaltet sie mit
Schöpfungsatem und -händen völlig neu und wunderschön!
Viel
schöner, als vorher und doch nicht so verletzlich und zart. Schlicht
und stabil sieht sie aus, meine neue Vase. Sie hat etwas
fundamentales, starkes. Sie sieht aus wie zerbrochen, geschmolzen und
neu geschaffen. Von dem Einzigen, der dazu in der Lage ist!
Dann
legt er mir die neue Vase in die Hände: Kind, sie ist da, um im
Leben gebraucht zu werden. Sie sollte nicht auf einem Sockel stehen,
fülle sie mit Leben und freue dich daran. Nicht die Vase selbst soll
dir zur Freude sein.
Überglücklich
empfange ich sie, meine neue Vase. Aus der alten hervorgegangen und
doch völlig neu und auf eine ganz und gar andere Weise wunderschön.
Ich
stelle sie mitten auf den Tisch, mitten im Leben, und fülle sie mit
wunderschönen Blumen und freue mich an ihr. Wie sie immer wieder
anders gefüllt werden kann, wie sie immer wieder neu, ihre
Bestimmung zum Ausdruck bringen wird.
So,
wie sie es als Vase in meinem Leben sollte.